Die Carretera  Austral Presidente Pinochet oder Ruta 7 gehört zu den weltweit beliebtesten Radreiserouten. Sie ist etwa 1250km lang, beginnt in Puerto Montt und endet in Villa O´Higgins. Wir steigen am 26. November bei Chaitén in die Carretera Austral ein. Vor Chaitén ist die Ruta 7 eine in undurchdringlichen Urwald geschlagene Schneise, genau das Richtige für horizon people. Hier wachsen auch noch Alerces oder Patagonische Zypressen, eine von zwei Baumarten die nach dem Washingtoner Artenschutzabkommen geschützt sind. Das Lebensalter einiger Bäume konnte auf 3600 Jahre datiert werden.

Nun radeln wir strack nach Süden und queren die Örtchen Puerto Cardenas, Villa Santa Lucía, La Junta, Puyuhuapi. Mittlerweile sind viele Teilstücke asphaltiert, ansonsten wurde als Baumaterial genommen was vorhanden war: Schotter, Split, Vulkanasche, Flusskiesel. Letzterer Belag ist oberübel, bei vier Grad Steigung drehen die Reifen schon durch und schieben ist angesagt. Die Landschaft ist zum Teil urbar gemacht und abwechslungsreich, die ersten kleinen Gletscher sind zum Greifen nah.

Ab Puyuhuapi bis Coyhaique haben wir Isabelle aus Deutschland im Gefolge. Die nächste Übernachtung ist im Parque Nacional Queulat. Hier wandern wir zu einem Gletscher aus dem zwei Wasserfälle herausstürzen und der nachts in regelmäßigen Abständen mit einem Mordsgetöse kalbt. Nach weiteren drei Radtagen durch tolle Gebirgslandschaft und wildem Campen erholen wir uns einen Tag in Manihuales bevor es weiter geht nach Coyhaique.

Coyhaique  ist ein größerer Ort und bietet alle Versorgungsmöglichkeiten. Wir stocken unsere Lebensmittel- und Gasvorräte auf.

Nach Coyhaique überschreiten wir eine imaginäre Grenze. Die Landschaft, die Vegetation und das Klima verändern sich. Wir sind zurück im starken Wind, es regnet viel und die Nächte sind kalt. Auch steigt die Radfahrerdichte noch mehr an und wir sehen unsere ersten Kondore. Auf dem Weg nach Villa Cerro Castillo verbringen wir zwei Nächte in der Reserva Nacional Cerro Castillo. Ab Cerro Castillo enden die Asphaltpassagen, ab jetzt ist ripio (Schotterstraße) angesagt.

Der 11. Dezember wird ein interessanter Tag. Es regnet und stürmt wie verrückt. Wir haben einen Platten, der Regen im behoben werden muss. Nach 29km finden wir eine windgeschützte Campingmöglichkeit und bauen unser Zelt neben dem des schottischen Pärchens auf, das dort schon den ganzen Tag ausharrt. Der Amerikaner und die Japanerin schaffen es ein paar Kilometer weiter, der Pole zeltet etwas vor uns und die australischen Radfahrer trampen. Nun können wir das erste Mal die Stärken unseres viel belächelten Riesenzelts ausnutzen und kochen im Trockenen.

Die nächsten beiden Tage entschädigen, der Regen hat aufgehört und die Strecke ist unheimlich schön. Es geht durch viel Wald mit häufigen Ausblicken auf die schneebedeckten Berge. Wir zelten an einem traumhaften Platz wild  und am zweiten Tag geht es mit Rückenwind die letzten 50km nach Puerto Río Tranquilo. Der Ort liegt am Lago General Carrera, dem zweitgrößten See Südamerikas.

Puerto Río Tranquilo. Hier suchen wir als erstes Gary und Maya, den Amerikaner und die Japanerin, und finden sie auch. Maya haben wir im August schon in Peru getroffen. Den Abend verbringen wir mit den beiden und mit viel Rotwein und Eis.

Der nächste Tag beginnt mit Regen, der nachmittags nachlässt. Wir unternehmen einen Bootsausflug zu den Marmorhöhlen. Das Wasser des Sees ist glasklar und hat ein seltsames hellblau.

Als kommendes Tagesziel wird Puerto Bertrand anvisiert. Der anfängliche Nieselregen geht allmählich in einen kräftigen Dauerregen über. Zu Beginn haben wir noch schöne Ausblicke auf den Lago General Carrera, dann nervt der Regen und auch die Waschbrettpiste. Kurz nach dem Abfluss des Sees gibt es eine Cabana. Wir verschieben Puerto Bertrand um einen Tag und ziehen nach 50 Radkilometern in die feste Unterkunft ein. Die Cabana hat ein großes Wohnzimmer mit undichtem Dach, ein Badezimmer mit heißer Dusche und ein Schlafzimmer mit zwei riesigen Fenstern. Wir bekommen total viel Feuerholz für den Ofen, den wir auch ordentlich anheizen, damit unsere Sachen wieder trocknen.

Der kommende Tag ist wie der vorherige, erst trocken dann massiver Regen. Allerdings ist Puerto Bertrand nur etwas über 20km entfernt. Wir beziehen ein Zimmer in einem einfachen Hostel und hoffen auf besseres Wetter. 

Das Warten hat sich gelohnt, wir starten bei Sonnenschein. Unser Tagesziel ist der private Parque Patagonia. Die Strecke führt zunächst am türkisblauem Río Baker, einem Anglerparadies, entlang. Kurz nach dem nicht ausgeschilderten Abzweig zum Park wartet schon das erste Guanako auf uns, eine von vier Lamaarten, die einzige, die wir noch nicht gesehen haben. Kurz danach stehen überall Guanakoherden auf den Wiesen. Der Weg ist eine kleine Herausforderung, es geht rauf und runter. Wir machen bei knapp 50km Tagesleistung über 1000 Höhenmeter. Bei dem Park, der von einer gemeinnützigen Stiftung betrieben wird, handelt es sich um einen Nobelpark. Eine Übernachtung auf dem Zeltplatz kostet so viel wie eine Übernachtung mit Frühstück im Hostel, dafür spült man sein Geschirr in kupfernen Waschbecken (mit kaltem Wasser) und entsorgt den Müll in Designerabfalleimern.

Morgens ist der Himmel bedeckt und es regnet. Wir begeben uns trotzdem auf den 23km langen Rundwanderweg. Zunächst geht 850hm rauf, der Regen nimmt zu, der Wind auch. Es gibt einige kurze, ausgesetzte Stellen, klettern ist angesagt. Oben ist es stürmisch und kalt, die Finger lassen sich kaum noch bewegen. Der Weg führt an vielen kleinen Seen entlang, an den Baumstämmen hängt irgendetwas Moosiges. Trotz trüben Himmels sind die Aussichten auf die stetig wechselnde Landschaft grandios. Die Rückseite des Bergrückens ist trocken, die Sonne kommt etwas durch und uns wird wieder richtig warm. Nach kurzer Zeit sind die Regensachen wieder trocken, nur die Schuhe bleiben durchnässt. Der Tag bringt Muskelkater in den Waden, es ist aber schön mal was anderes als Radfahren zu unternehmen.

Der kommende Radtag ist wettertechnisch interessant. Das Zelt bauen wir im Trockenen ab und fahren zurück zur Ruta 7. Es geht wieder am Río Baker entlang. Wir haben Regen und Sonne abwechselnd und gleichzeitig. Gleichzeitig ist nicht ideal, man wird zwar nicht nasskalt aber feuchtwarm. Gegen Mittag erreichen wir Cochrane, der letzte Ort mit Vollversorgung für wahrscheinlich die nächsten zwei Wochen. Allerdings können wir unsere Postkarten wieder nicht abschicken. Die Postkarten haben wir nach mehrwöchigem Suchen in Coyhaique erstanden, aber die Hauptpost war geschlossen. Hier gibt es zwar eine Post, genauso wie in Puerto Río Tranquilo, aber wir benötigen zum Versenden Briefmarken und die gibt es in der Post nicht. (Bitte keine Fragen zu dieser Logik!)

Cochrane verlassen wir bei Regen. Der Rio Baker ist stark angeschwollen, aus dem Anglerfluss ist ein brauner Strom geworden. Regen, Regen, Sonne, Regen wechseln sich dauernd ab. Gezeltet wird an der Strecke. Wenn die Wolken die Sicht freigeben entschädigt die atemberaubende Landschaft einen wieder, auch begleiten uns täglich Kondore.

Pünktlich zum Weihnachtsfest biegen wir von der Carretea Austral ab um nach Tortel zu fahren. Der Ort zieht sich an den Steilhängen zweier Buchten hoch und hat keine Straßen. Die Häuser sind ausschließlich über Stege zu erreichen. Das ist höchst interessant, entpuppt sich aber erst einmal als Eigentor. Wir schleppen Gepäck und Fahrräder über lange Treppen zu unserer Cabana. Die Anwohner machen das mit allem auch so. Von unserer Unterkunft haben wir eine schöne Sicht über eine Bucht. Am Heiligen Abend gibt es Erbseneintopf mit Wurst - lecker.

Am 26. Dezember fahren wir zurück zur Carretera Austral und nehmen die restlichen 110km in Angriff. Erst geht es lang und steil eine Schlucht hinauf um hinterher wieder den Berg hinunter zu sausen. Wir erreichen Puerto Yungay, wo wir nach einer Fährfahrt auf der anderen Anlegerseite im Fährhäuschen übernachten. Dort sind wir die einzigen und können uns richtig ausbreiten. Auch den nächsten Abend müssen wir nicht zelten, wir nächtigen in einer Schutzhütte, die extra für uns Radfahrer eingerichtet wurde und wo das Feuerholz schon vor der Tür liegt, so dass wir die Hütte schön warm aufheizen können. Gut ausgeschlafen radeln wir mit Rückenwind und bei gutem Wetter den Lago Cisnes entlang. Zwischendurch stehen immer wieder Gedenktafeln für Soldaten, die beim Bau dieses Teilstücks der Straße ums Leben gekommen sind.

Am 28. Dezember erreichen wir Villa O´Higgins und mieten uns für vier Nächte eine Cabana. Der Ort wurde 1966 gegründet, um im Dauergrenzkonflikt mit Argentinien die Gegend besiedelt zu haben. Zum Jahreswechsel wird ein dreißigminütiges Feuerwerk in die Luft geschossen. Am 1. Januar treten wir die letzten  verbliebenen 7 Kilometer der Carretera Austral an, wo dann eine Fähre über den Lago O´Higgins führt. Jetzt sind es noch 15 Pistenkilometer nach Argentinien.